Der Abend, als Maddie verschwand. Teil 1 („they’ve taken her“)

Was genau ist am Abend des 3. Mai passiert? Gegen 22 Uhr hat Kate McCann, die Mutter von Madeleine McCann, bei einem Kontrollgang bemerkt, dass ihre Tochter nicht mehr in ihrem Bett liegt und Alarm geschlagen. Doch wie genau hat sich das abgespielt? Offiziell kam Kate um ca. 10 Uhr in das Tapas Restaurant und hat unter Schreien und Schluchzen in größter Aufregung verkündet, dass Madeleine verschwunden ist. Dies lässt sich einstimmig in den PJ Files nachlesen (http://www.mccannpjfiles.co.uk/PJ/TRANSLATIONS.htm).

Gerüchte, dass sie das Verschwinden ihrer Tochter mit „they’ve taken her“ verkündet hat, lassen sich nicht zu 100% bestätigen. In den offiziellen PJ Files gibt es keinen Zeugen, der von dieser Wortwahl berichtet. Generell ist die Rede davon, dass „Madeleine verschwunden sei“. Die einzige Person, die diese Worte verwendet, ist Charlotte Pennington, eine der Nannys. Jedoch nicht in der offiziellen Zeugenaussage, sondern in einem späteren Zeitungsinterview. Ich halte diese Aussage für nicht glaubhaft, zumal Pennington die einzige ist, die das bestätigen kann. Leider hat scheinbar ein einziges Interview mit einer bedeutungslosen Nanny, die einmal im Scheinwerferlicht stehen wollte, dazu geführt, dass sich das Gerücht, Kate habe die ganze Zeit „they’ve taken her“ gerufen hat, schadenlos hält. (https://www.dailymail.co.uk/news/article-483715/Kate-McCann-DID-scream-Theyve-taken-claims-new-nanny-witness.html)

Möglich ist es – aber warum kann das niemand sonst bestätigen?

Was ist danach passiert?

Die Tapas 7 sind – bis auf Dianne Webster und Jane Tanner – alle zum Apartment 5A der McCanns gerannt und haben angefangen, zu suchen.

Wie steht es um die Gerüchte um das Eintreffen der Polizei? Wer hat die Polizei gerufen? Die McCanns haben häufig darüber geklagt, dass die Polizei erst spät eingetroffen ist.

Review: „Das Verschwinden von Madeleine McCann“ auf Netflix

Hervorgehoben

Lange habe ich der Netflix-Dokumentation über den Fall Madeleine McCann entgegen gefiebert und trotz spärlich gesäter Freizeit mir die 8-teilige Serie in Rekordgeschwindigkeit reingezogen.

Viele der Hauptakteure, wie zB die Eltern oder die Freunde – die sogenannten Tapas 7 – mit denen die Eltern im Urlaub waren, haben eine Teilnahme verweigert. Es kommen nun hauptsächlich Journalisten, Ermittler und Sponsoren der McCanns zu Wort, sowie das britische Priesterpaar aus Luz und ein paar Miturlauber, deren Aussagen jedoch unbedeutend erscheinen. 

Leider muss ich sagen, dass ich sehr enttäuscht bin. Es handelt sich um einen vollständig chronologischen Ablauf, dem es an den entscheidenden Stellen an Tiefe fehlt. Wichtige Fragen werden übergangen, prinzipiell wird alles so dargestellt, wie man es auch zum großen Teil in den Medien lesen konnte. Die Meinung der Ermittler und Journalisten orientieren sich am jeweiligen Stand der Ermittlungen, neue Erkenntnisse oder Enthüllungen fehlen. 

In den ersten 3 Folgen werden die Ereignisse des 3. Mai und der anschließende Medienrummel dargestellt. Warum hat man die Zeugenaussagen und die Zeitlinie nicht genauer auseinander genommen? Netflix stellt den Abend ähnlich schwammig dar, wie man ihn mit Hilfe der McCanns zusammenstellen kann. Unabhängig davon, was tatsächlich passiert ist – entscheidend wäre es gewesen, einen möglichen Zeitpunkt für die Entführung herauszuarbeiten. Dann hätte auch Netflix bemerkt, dass es höchstens mal 5 „sichere“ Minuten gegeben hätte, wo ein Entführer in das Apartment eindringen, die Kinder betäuben und Madeleine spurlos hinaustragen kann. 

Auch die Tatsache, dass das Ehepaar ihre 3 kleinen Kinder unbeaufsichtigt in einem nicht abgeschlossenen Apartment schlafen hat lassen, wird eher stiefmütterlich behandelt. 

Was ist mit den Freunden der McCanns? Warum schenkt man ihnen und deren Aussagen wenig Bedeutung? Mehr als einmal wird erwähnt, dass der Täter meist aus dem engeren Umfeld ist. Wenn die McCanns also unschuldig sind (so auch der Tenor am Ende der Dokumentation) wäre es doch möglich (und das ist nicht unwahrscheinlicher als die Entführungstheorie), dass jemand von den Tapas 7 beteiligt ist. Matthew Oldfield hätte beispielsweise eine Chance gehabt, da er alleine am Apartment war innerhalb des möglichen Zeitraums. 

Warum gibt es keine Interview der Hotelangestellten? Wollten die alle nicht? Warum gibt niemand ein Interview, der unmittelbar am Abend er Tat vor Ort war? 

Und dann Robert Murat und Sergej Malinka. Erster wurde verdächtig, weil er in Praia da Luz in der Nähe der Hotelanlage wohnt, fließend portugiesisch und englisch spricht, ein kaputtes Auge hat, eine geschiedene Frau und Tochter in England hat und „irgendwie“ verdächtig erscheint. Drei der Tapas 7 haben ihn am Abend des 3. Mai am Apartment gesehen. Er selbst bestreitet das und außer den Freunden der McCanns hat ihn auch niemand gesehen, was sehr merkwürdig ist, da er lokal bekannt ist, so auch bei der lokalen Polizei. Und der arme Sergej Malinka? Der wurde verdächtig, weil er Robert Murat kennt und zufällig an besagtem Abend etwa zur Tatzeit mit ihm telefoniert hat.

Nachdem sich diese Spur als falsch erweist, konzentrieren sich die portugiesischen Ermittler auf Kate und Gerry McCann. Goncalo Amaral kommt zu Wort und richtigerweise werden ein paar der Merkwürdigkeiten in ihren Aussagen aufgezeigt. Kate sagt aus, dass der Rollo oben war und das Fenster offen, was beides nicht (mehr?) der Fall war, als die Polizei eintraf. Gerry hat das Fenster wegen der schlafenden Zwillinge geschlossen – soweit so einleuchtend. Weshalb der Rollo allerdings unten war, welcher sich nachweislich auch nicht von außen öffnen lässt – das wird wohl auch bei Netflix ein Rätsel bleiben. 

Ebenso, dass sich absolut keine Spuren am Fenster befinden, die auch nur irgendwie auf eine fremde Person hindeuten – eine Randerscheinung der Dokumentation. Widersprüchliche Aussagen, dass Gerry einmal durch die Haustür gekommen ist und einmal durch die Terrassentür – kaum eine Erwähnung wert. 

Richtigerweise wird erwähnt, dass es normal ist, dass sich ein gewisses Maß an Widersprüchen auftut, wenn mehrere Menschen eine Aussage zu ein und derselben Sache machen. Und auch, dass sich Aussagen leicht verändern können, wenn man die gleichen Personen nochmals befragt. Warum man sich aber unmittelbar am Tag nach dem Geschehen nicht mehr genau erinnern kann, durch welche Tür man das Apartment betreten hat und ob diese abgeschlossen war, das sollte man mit normalen Menschenverstand hinterfragen. 

Der entscheidende Teil aus meiner Sicht waren die Hunde. Ihnen wurde viel Sendezeit gewidmet, der Hundetrainer Martin Grime, der auch mit dem FBI zusammenarbeitet, kommt zu Wort und erklärt die Ausbildung und Zuverlässigkeit seiner Hunde mit großer Glaubwürdigkeit. Der Leichenspürhund findet Leichengeruch an mehreren Orten im Apartment, im Mietauto der McCanns (welches diese 3 Wochen nach dem Verschwinden erst angemietet haben), an diversen Kleidungsstücken von Kate und am Kuscheltier von Madeleine. Der Blutspürhund erschnüffelt im Anschluss daran Blutspuren an einigen Orten, wo auch Leichengeruch ist, nämlich hinter dem Sofa im Apartment und im Kofferraum des Mietautos. Nun ist es so, dass man DNA-Proben der betroffenen Stellen ins Labor geschickt hat und diese nicht zweifelsfrei Madeleine zugeordnet werden konnten.

Was danach kommt, ist eine Farce und leider auch ein düsterer Tiefpunkt der portugiesischen Ermittler. Es wird einfach behauptet, die DNA sei von Madeleine, außerdem werden die britischen Ermittler kritisiert. Im Endeffekt kostet es den Chefermittler Amaral den Job und auch bei vielen seine Glaubwürdigkeit. Leider hat man den Eindruck, dass man die portugiesischen Ermittler als langsame, schlurige Dritte-Welt-Scheriffs darstellt im Gegensatz zur britischen Polizei. Etwas einseitig.

Was bleibt? Der Hund hat Leichengeruch an mehreren Orten erschnüffelt, die ausschließlich mit den McCanns in Verbindung stehen. Andere Apartments und Autos haben ihn kalt gelassen. Dass der Hund sich vielleicht einmal irrt mag sein, aber mehfach? Hmm. Dazu wird leider nichts mehr gesagt und mit den ergebnislosen DNA-Proben sind die Eltern auf einmal wieder unschuldig und alle sehen das nun ein, auch wenn sie vorher höchst verdächtig waren. Naja, höchstwahrscheinlich ist es eben so, dass die armen McCanns einfach das Pech hatten, ein Apartment UND ein Mietauto zu bekommen, wo vorher eine Leiche gelegen hat. Und unglücklicherweise kamen auch Kates Klamotten und Madeleine Kuscheltier mit einer Leiche in Berührung. Kate ist ja auch Allgemeinmedizinerin, da hält man sich bekanntermaßen oft in Leichenhallen auf. (Achtung Ironie)

Tja, was bleibt ist ein fades Gefühl und eine große Enttäuschung, dass Netflix hier oberflächlich über Tatsachen rutscht und nicht tiefergehend hinterfragt, was es mit diesem Leichengeruch denn auf sich haben könnte. 

Durch die Folgen 6 bis 8 habe ich mich ziemlich gequält. Da geht es um die anschließenden Ermittlungen durch die Privatermittler von Metodo 3 aus Spanien und Operation Grange von Scotland Yard. Auf Kevin Halligen ist man gar nicht erst eingegangen. Die haben zu nichts geführt, es gibt keine neuen Erkenntnisse und worauf man die Vermutung stützt, dass Madeleine leben könnte, kommt auch nicht heraus. Als einziger harter Fakt bleibt das Ergebnis der Hunde, welches leider vor Gericht keinen Bestand hat. Die Entführertheorie basiert auf höchst widersprüchlichen Aussagen der Eltern und Freunde und ein paar ungenauer Sichtungen. Auf die Smith-Sichtung wird nicht länger eingegangen, obgleich diese deutlich glaubhafter ist als die von Jane Tanner.

Und nicht zu vergessen: Der Prozess zwischen Goncalo Amaral und den McCanns. Obgleich erster viermal vor Gericht gewonnen hat und eindeutig ausgesagt wurde, dass die McCanns nicht zweifelsfrei unschuldig sind, wird dieser als nicht sehr glaubwürdig dargestellt. 

Fazit: Ich bin zu keinerlei neuen Erkenntnissen gekommen, der komplette Inhalt war mir auch schon vorher bekannt. Einzig und allein die Aussage zu den DNA-Proben habe ich auf diese Weise und in dieser Genauigkeit noch nicht gehört. Dazu ein paar subjektive Aussagen von Leuten, die oftmals nicht neutral sind. Sehr Enttäuschend. Der gesamte Fall wirft Unmengen an Fragen auf. Und die entscheidenden Fragen – nämlich die, die den Tatzeitpunkt betreffen – werden so gut wie nicht gestellt. Die Freunde nicht kritisch hinterfragt. Offensichtlich hat man auch Angst, die McCanns kritisch zu hinterfragen. Vermutlich daher auch der Abschnitt, wo der Presse untersagt wird, kritisch darüber zu berichten und sogar von Beschneidung der Pressefreiheit geredet wird. Mal angenommen, die Eltern sind absolut unschuldig – klar, dann wäre es eine schlimme Sache, sie zu beschuldigen. Müssen ja schon genug durchmachen. Von den wenigen Indizien, die es gibt, spricht aber deutlich mehr für eine Täterschaft der Eltern als für irgendein anderes Szenario. Asche auf mein Haupt, sollte ich mich irgendwann irren. 

Jeder logisch denkende Mensch sollte zu dem Ergebnis kommen, dass das kleine Mädchen höchstwahrscheinlich nicht mehr lebt. Denkt an die Hunde, denkt an den langen Zeitraum, denkt an die verworrenen Zeitangaben des besagten Abends.  Geschichten wie die von Natascha Kampusch sind nicht die Regel.